Wie soll ich vertrauen?

Philosophische Sehnsucht nach sicherem Halt

Das Vertrauen hat in der Philosophie bislang nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Kaum ein philosophisches Wörterbuch widmet ihm einen Eintrag. Aber unzählige Einträge verwenden den Begriff zur Erläuterung anderer Begriffe. So als wäre es völlig selbstverständlich, was er bedeutet. Vielleicht ist dies ja auch der Fall. Aber dann sollte man es deutlich sagen und die selbstverständliche Bedeutung des Begriffs benennen. Denn Philosophie ist ja in gewisser Weise schlicht das Aussprechen des Selbstverständlichen.

Meine Definition lautet nun wie folgt: Vertrauen ist ein Annehmen – etwas (An-)Gebotenes zu sich, in seine Hände und in seine Seele nehmen, es nicht zurückweisen oder verwerfen, sondern es als relevant anerkennen, ohne dafür logisch zwingende Gründe angeben zu können. – Vielleicht zieren sich die Redaktionen philosophischer Wörterbücher deswegen, weil Vertrauen gemäss dieser Definition die Schwelle der rationalen Verfügbarkeit überschreitet.

Vertrauensbezogene Fragen wurden in der Philosophiegeschichte meistens mit Blick auf das Wissen oder Wissen-Können gestellt. Was kann ich wissen? Welches sind die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ich etwas wissen kann? Radikale Skeptiker würden nun sagen: Ich kann gar nichts wissen. Ich kann eh auf nichts vertrauen, weder meinen Sinnesorganen, noch meinem Denken, noch irgendetwas sonst. Es ist dies eine Position, die in ihrer radikalen Form logisch nicht aufgeht, denn warum sollte man so der Skepsis selber vertrauen?

Radikale Skepsis ist aber vor allem eine Position, die von tiefer Vertrauenslosigkeit, ja geradezu Vertrauensunfähigkeit zeugt: Wer es ablehnt, sich auf irgendetwas abzustützen, bleibt in der Luft hängen und wirbelt wie ein abgefallenes Blatt im Herbstwind herum. Meiner Meinung nach sollte es in der Philosophie aber darum gehen, sicheren Halt zu finden. Einen sicheren Letztgrund für sein eigenes Leben und Denken zu finden, eine Letztstütze – das, was bleibt, wenn alles andere rational durchgedacht, denkerisch durchgekaut und intellektuell ergründet ist.

Ohne ein solches Vertrauen in die Gewissheit eines Letzten bliebe Philosophie ein unendlich verzweifelter, ja krampfhaft neurotischer Versuch, immer noch mehr zu suchen. Jede mögliche Gewissheit würde dann mit dem prinzipiellen Zweifel erschlagen. Nicht einmal René Descartes konnte oder wollte so weit gehen bei seinem radikalen erkenntnistheoretischen Programm. Er kam zum Schluss, dass sein zweifelndes Bewusstsein ihm die Gewissheit seiner Existenz gibt. Einen echten Beweis dafür konnte er aber nicht angeben. «Cogito ergo sum» ist quasi sein Letztgrund, dem er vertraut.

Auch in früheren und späteren Jahrhunderten haben sich Philosophen immer wieder an Prinzipien oder Sätzen festgehalten, denen sie vertrauten, die sich aber nicht mehr weiter beweisen liessen. Wer sich dagegen nicht traute, Dinge anzunehmen, die sich nicht weiter beweisen lassen, verlor sich im Nebel des Nihilismus oder versauerte im Wirbel des Weitersuchens.

Wer meint, nichts und niemandem zu vertrauen, muss sich fragen, warum er oder sie nichts annehmen kann oder will. Liegt dahinter vielleicht die Mühe mit dem Gedanken, dass nicht alles von und aus einem selber kommen kann?

Das gute Vertrauen beginnt nach meinem Verständnis also mit der philosophischen Sehnsucht nach einem Letztgrund. Wenn man einen solchen gefunden hat, soll man ihn anerkennen, also quasi sich zu ihm bekennen. Gutes Vertrauen erfordert aber auch, dass man sich nicht auf ewig blind auf etwas abstützt, sondern kritisch und wach bleibt, ob die Stütze jeweils noch das hält, was von ihr erwartet wird. Für alle diese Schritte bedarf es einer aufmerksamen, bewussten Geisteshaltung – modern ausgedrückt: Es bedarf der Achtsamkeit.

Und Sie, schenken Sie dem Vertrauen in Ihrem Alltag die gebührende Achtsamkeit?