Falls es einen Gott gibt

Die Frage, ob ein höchstes Wesen existiert, ist rationaler,
als gemeinhin angenommen

Die Welt gaukelt uns so manches vor, das wir glauben und wobei wir erst später merken, einer Illusion erlegen zu sein. Nicht immer aber ist klar erkennbar, was Illusion ist und was Realität. Ist die Existenz eines höchsten, geistigen Wesens Illusion oder Realität? Viele selbsternannte Rationalisten behaupten steif und fest, es gebe nur Materie und daher kein solches Wesen. Sie vertreten dies gerne zahlen- und schemengestützt und bedauern, dass noch nicht alle einsehen, dass ihre materielle Weltbeschreibung die richtige und wahre sei.

Glücklicherweise dürfen solche Thesen laut und deutlich vertreten werden, denn so können sie wissenschaftlich geprüft werden. Vielleicht ist es wahr, dass es ausserhalb der materiellen Wirklichkeit nichts gibt. Vielleicht ist alle Rede von Moral, Verantwortung, Schuld, Gerechtigkeit, ja auch Hoffnung, Liebe und Geborgenheit pure Gaukelei, um uns von der frostigen Realität universaler Sinn- und Ziellosigkeit abzulenken. Aber auch die materialistischen Wissenschaften können mit ihren Methoden nicht beweisen, dass ihre Sicht der Dinge logisch zwingend ist, da sie sich auf rational nicht notwendige Annahmen stützen. (Nur geben sie dies gemeinhin nicht so gern zu, wie der polnische Philosoph Leszek Kolakowski in seinem Buch Falls es keinen Gott gibt schön bemerkt.)

Es darf und soll auch laut und deutlich gesagt werden, dass es unbefriedigend ist, die Wirklichkeit rein materiell zu fassen. Denn wird die materialistische Weltsicht konsequent weitergedacht, bleibt am Ende ein leeres Schlucken ob unserer menschlichen Existenz. Sollen Fragen à la «Was bin ich?» oder «Wozu lebe ich?» wirklich als sinnlos-infantiles «Frägeln» abgetan werden? Sind das «Was» des Menschen und das «Wozu» des Lebens, welche beim Blick durch die (natur)wissenschaftliche Brille ins Nichts verschwinden, eine naive Nörgelei ohne reale Relevanz? Ich glaube nicht. Viel eher ist es so wie beim Aufsetzen einer 3D-Brille, welche rote und grüne Farbflächen vermeintlich zum Verschwinden bringt: man sieht diese zwar nicht mehr, doch verschwunden sind sie deswegen nicht.

Die seit Menschengedenken bedeutsamen Fragen nach unserem Wesen und unserem Lebenssinn können nicht nach wissenschaftlicher Methode beantwortet werden, es sind Fragen, die aber deswegen keine Spur weniger rational sind. Und eine These aufzustellen, wonach es ein höchstes, absolutes Wesen gibt, ist ebenso wissenschaftlich, wie zu sagen, dass es kein solches Wesen gibt. Definitive Beweise gibt es für keine dieser beiden Thesen.

Ein vergleichbares Thesenpaar ist die Annahme oder Ablehnung eines endlichen Subjekts, eines Ichs. Wie dieses entzieht sich auch das unendliche Subjekt – nennen wir es Gott – einer rationalen Beschreibung. Sehr treffend hat dies der dänische Philosoph Sören Kierkegaard gefasst, für den Philosophie der Versuch ist, das Individuum zu verstehen – und nicht eine Disziplin, welche abstrakten Konzepten nachgeht: Das Leben sei eine dem Einzelnen aufgetragene Aufgabe, sich selbst zu realisieren, so lange, «bis er sich selbst findet in Gott». Also bis das endliche Subjekt zum unendlichen Subjekt gefunden hat.

Endlichkeit und Unendlichkeit vereint, vielleicht ist dies die Bedeutung der christlichen Botschaft: Falls es mich gibt, warum soll es dann nicht auch Gott geben? Diese Frage zu stellen hat noch nichts Religiöses an sich. Die Existenz Gottes als These, die rein rational aufgestellt und betrachtet werden kann. Damit ist auch eine Handreichung zu hartgesottenen Naturwissenschaftern geschaffen, und ein Angebot, sich auf die verbindende diskursive Methode einzulassen. Denn es ist eben rational, Gottes Existenz anzunehmen. Und wenn man dies dann weiterdenkt, kann man gar zur wunderbar-wärmenden und frost-überwindenden Vorstellung gelangen, dass es auch so etwas wie Erlösung gibt.