Wie können wir uns eine eigene Meinung bilden?

Warum das Internet nicht automatisch
zu einer besseren Demokratie führt

Die freie Meinungs- und Willensbildung ist durch die Artikel 16 und 34 der Bundesverfassung geschützt. Die Frage, was wir wollen, stellt sich in der Schweiz mehrfach pro Jahr in Volksabstimmungen. Als Teilhabende am Gemeinwesen äussern wir regelmässig unsere Meinung zu Sachfragen. Die Begriffe «Meinung» und «Wille» sind dabei logisch miteinander verbunden. Die gebildete Meinung muss bei Abstimmungen die Form eines Willens annehmen, damit wir den Stimmzettel ausfüllen können. Hinter dem geäusserten oder stillschweigenden Willen – Ja, Nein, Enthaltung, ungültige Äusserung, Nichtteilnahme – steht der Prozess der Meinungsbildung.

Die Möglichkeit zur Bildung und Äusserung eines freien Willens ist eine Grundvoraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens freier Bürgerinnen und Bürger. In der Demokratie wird jeder einzelne Wille ernst genommen. Demokratische Entscheide sind dadurch definiert, dass sie aus der Summe der einzelnen Willensentscheide entstanden sind. Wenn diese Einzelentscheide nicht je frei und eigenständig entstehen, dann verliert die Demokratie neben ihrer gesellschaftlichen auch ihre logische Basis.

Wie komme ich, als freies Individuum, nun zu meiner Meinung? Hier spielen einerseits äussere und andererseits innere Faktoren eine Rolle. Äussere Faktoren sind solche, die der Staat direkt schützen oder gewährleisten kann, zum Beispiel das Recht, ungestört Vorträgen von anderen Menschen zuzuhören oder Zugang zu Informationsquellen über das Internet zu haben. Innere Faktoren hingegen können nicht direkt geschützt werden, es sind solche, die mit dem «persönlichen Innenleben» des Individuums verbunden sind. Meine Meinung zu einer konkreten Sachfrage bilde ich mir, indem ich selber denke, also mich im Inneren meiner Person «herumhöre und herumfrage». Diese «innere Umfrage» führt dann zu einem Resultat, das man als die eigene Meinung bezeichnen kann.

Solche Denk-Resultate kommen nicht im leeren Raum und zufällig zustande, sondern sie hängen ab von meinen Prinzipien und Überzeugungen, von meinem Fakten-Wissen, von den Ansichten anderer Menschen und noch von anderen Dingen. Diese Abhängigkeit und Beeinflussung ist nicht etwas Schlechtes. Die Meinung muss am Ende aber vom Gefühl begleitet sein, dass es meine Resultate meines Denkens sind. Wir müssen Gründe angeben können, warum wir dieser oder jener Meinung sind.

Damit ist nun die zentrale Voraussetzung dafür identifiziert, dass wir als Bürgerinnen und Bürger auf freie Art und Weise unseren Willen bilden können: Wir müssen einen Raum zum eigenen Denken und zur Bildung einer eigenen Meinung haben. Und damit sei auf einen sehr verbreiteten Irrtum hingewiesen, der lautet, dass ein freies Internet automatisch zu einer besseren Demokratie führe. Anstatt «freies Internet» kann man auch «Social Media», «elektronische Abstimmungs-Kanäle» oder «digitale Medien im Unterricht» einsetzen, der Irrtum bleibt der gleiche.

Diesem Irrtum liegt die Verwechslug von Innen-Raum und Aussen-Raum zugrunde. Es wird eine Kausalität unterstellt, die nicht gegeben ist: Das, was zu einer Verbesserung der Demokratie, also der demokratischen Entscheide, führt, sind eben gerade nicht äussere, sondern es sind jene inneren Faktoren, die zur freien Meinungs- und Willensbildung beitragen. Nur Bürgerinnen und Bürger, die in der Lage sind, die neuen Tools und Technologien kraft eigenen Denkens sinn- und gehaltvoll zu nutzen, können mit ihrer Hilfe bessere Entscheide herbeiführen. Dies ist aber eine Kultur- und nicht eine Technologie-Frage. Ohne offene, freie Meinungs-Entwicklungs-Kultur, hilft die beste und schnellste Internetverbindung nichts.

Als demokratisches Gemeinwesen gilt es, auch im Internetzeitalter den Sinn und Geist der freien Willensbildung zu erhalten. Daher sollten wir neben der Förderung äusserer Faktoren wie Medienkompetenzen oder den Einsatz digitaler Medien auch die inneren Faktoren, also das freie eigene Denken, gezielt fördern.