Wie soll ich arbeiten?

Leben im Grenzbereich menschlicher Freiheit

Kaum ein anderer philosophischer Begriff hat in Mundart und Schriftsprache so viele Synonyme und Nuancierungen wie jener der Arbeit. Dies spiegelt die Vielfältigkeit und durchdringende Relevanz dieser spezifisch menschlichen Tätigkeit des systematischen Handelns zur Erhaltung und Gestaltung des Lebens. Arbeit beschäftigt wohl nur jene Menschen nicht, die sehr viel besitzen oder gar nichts haben wollen. Dieser Beitrag begeht, angesichts der Fülle an theoretischen und philosophiegeschichtlichen Blickwinkeln auf das Thema, einen Mittelweg zwischen einem Sehr-viel- und einem Gar-nichts-Sagen und fokussiert auf drei alltagsrelevante Aspekte: Motivation, Intensität und äussere Umstände.

Was motiviert mich, überhaupt zu arbeiten? Suche ich Erfüllung, Ablenkung, ein hohes Einkommen, die Statuswirkung bestimmter Posten oder einfach einen Erwerbsjob, um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen? Wahrscheinlich findet sich bei den meisten von uns eine Mischung aus mehreren dieser Faktoren. Es gibt nun aus meiner liberalen Sicht keine an sich bessere oder schlechtere Motive. Wenn man denn von einer moralischen Relevanz der Motivation sprechen will, dann wäre diese allenfalls auf ein klares Bewusstsein, welche Ziele man erreichen will, bezogen. Und zur Zielorientierung gehört die Frage nach dem Sinn des Lebens: Welches Lebensziel habe ich, welchem eigenen oder fremden Lebenszweck möchte ich dienen? Ein spezifisches auf die Arbeit bezogenes moralisches Gebot würde ich diese Bewusstheit aber nicht nennen wollen, eher ein Gebot der Lebenskunst. Denn es ist ja zulässig, ziellos zu leben und zu arbeiten. Es ist daher auch durchaus legitim, seine Arbeit nur als Mittel zum Gelderwerbszweck zu betrachten, sofern man allen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt. Dass eine rein extrinsische Arbeitsmotivation allerdings auf Dauer zufriedenstellend ist, bezweifle ich.

Wie intensiv soll ich mich ins Arbeiten knien? Die Intensität kann hinsichtlich der Aspekte Pensum, Nahtlosigkeit und Pensionshorizont sowie Engagement betrachtet werden. Vertreter der älteren Generation bemerken zuweilen mit vorwurfsvollem Unterton, dass «die heutige Generation» nicht mehr gerne in Vollzeit-Pensen arbeite. Es besteht aber überhaupt keine Verpflichtung jeglicher Art dazu, sofern die finanziellen Verhältnisse dies zulassen. Es ist unter Umständen gar vernünftig, nur in Teilzeit zu arbeiten sowie jeweils zwischen zwei Stellen mehrmonatige Arbeitspausen einzulegen. Schliesslich hat es «die gestrige Generation» noch immer nicht geschafft, die Altersvorsorge gerecht und nachhaltig zu organisieren. Da ist es aus liberaler Sicht vernünftig und geradezu ethisch angezeigt, die Erwartung höherer Arbeitsbesteuerung, tieferer Renten sowie eines ungewissen Pensionsalters durch «informellen lebensqualitativen Rentenvorbezug» zu kompensieren.

Wie weit soll mein persönliches Engagement, mein «Commitment», für eine bestimmte Stelle gehen? Grundsätzlich ist dies jeder und jedem Einzelnen überlassen. Im Beruf nicht Vollgas zu geben, um dafür zum Beispiel für die Familie mehr Energie zu haben, ist moralisch unbedenklich. Moralisch relevant wird ein «Arbeiten mit angezogener Handbremse» dann, wenn man sich beklagt, deswegen bei der Bonusverteilung oder einer Beförderung übergangen zu werden. Eine auf Dauer zufriedenstellende Tätigkeit muss aber wohl dem Prinzip der «laboralen Leistungsfähigkeit» genügen. In Anlehnung an das analoge fiskalische, in der Bundesverfassung in Artikel 127 verankerte Prinzip gemahnt es, so viel zu arbeiten, wie man zu leisten fähig ist. Man soll also weder «sich überlupfe» noch «umefloone».

Zuletzt noch zu den äusseren Umständen: Ob Grossraumbüro, Home Office, bürgerlicher Bürozeitrhythmus oder Arbeit am verregneten Sonntag, um am schönen Montag eine Wanderung zu machen: Hier ist keine ethische Relevanz zu erkennen bei der Wahl persönlicher Arbeitsweisen. Mit anderen Worten, es besteht vollkommene Freiheit, sich im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten und unter der Voraussetzung, dass man die gestellten Aufgaben erledigt, seine Arbeit so einzurichten, wie es einem am besten passt.

Eine gewichtige Einschränkung der postulierten vollkommenen Freiheit scheint sich darin zu zeigen, dass auf die Arbeit an sich schwer zu verzichten ist. Wer mehr als nur überleben will, muss etwas dafür tun – diese «Naturnotwendigkeit» zeigt uns die Grenzen menschlicher Freiheit auf. Vielleicht haben wir deswegen so viele Wörter für die «natürliche Knechtschaft» entwickelt, um uns in allen denkbaren Facetten von dieser durchdringenden Grenzerfahrung abzulenken.