Wie soll ich denken?

Klimaschutz fängt beim Denken an

Die Titelfrage schürt viele Erwartungen, die in diesem kurzen Blogtext-Format nicht zu erfüllen sind. Die Frage ist so vielschichtig und mehrdeutig, dass ich zuerst einmal deklariere, wie sie nicht gemeint ist: Es geht mir nicht um Denk-Inhalte an sich, im Sinn von «Was soll ich denken?», «Welche konkreten Annahmen soll ich für wahr, richtig, nützlich etc. halten?». Es geht mir ebensowenig um Denk-Formen im Sinn von «Was ist ein zulässiger logischer Schluss?» oder «Wie argumentiere ich philosophisch korrekt?» Um was es mir geht, ist vielmehr die persönliche sowie die lebensweltliche Verortung des Denkens.

Mit «persönlicher Verortung» des Denkens meine ich die Bezüge der Denkinhalte zur eigenen Person, zum eigenen Leben. Denkinhalte sind reflektierte Überzeugungen. Von Meinungen und Dogmen unterscheiden sie sich dadurch, dass sie Resultat eines individuellen Reflexionsprozesses sind, der objektiv nachvollziehbar gemacht werden kann. Das Denken soll – dies die erste Antwort auf die Titelfrage – in ein stimmiges Verhältnis zur eigenen Person gebracht werden. Eine stimmige Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass die gedachten Dinge zu einem selber gehören.

Wer etwas denkt, muss dazu stehen können, einfach deswegen, weil der Gedanke ein eigener Gedanke ist. Der Gedanke soll zu mir gehören, so wie meine Nase oder meine Körpergrösse zu mir gehört. Es gibt zwar Möglichkeiten der Täuschung oder Verfälschung, zum Beispiel indem man sich eine künstliche Nase aufsetzt oder mit hohen Absätzen die Grössenwirkung zu beeinflussen versucht. Solches lenkt aber von dem ab, wie ich bin. Ebenso gibt es auch beim Denken Möglichkeiten des Täuschens, zum Beispiel indem man sich einredet oder aus Gruppendruck verleitet wird, bestimmte Dinge zu denken, zum Beispiel dass es gut wäre, die Herstellung von Verbrennungsmotoren zu verbieten, obwohl man innerlich und wirklich fühlbar differenzierterer Meinung ist.

Man kann sich auch dahingehend täuschen, dass man für sich nicht geklärt hat, wie man zu einer Sache steht, weil man sich noch nicht genügend Zeit genommen hat, etwas für sich «durchzudenken», zum Beispiel welchen Beruf man denn eigentlich am liebsten ausüben würde, wenn es «nur nach mir» ginge. Ein Sonderfall davon ist die Situation, in der sich das «Ich» verändert hat, ohne dass das Denken die entsprechenden Entwicklungsschritte mitgemacht hätte. Hier ist dann ein Update der persönlichen Verortung des Denkens notwendig, um wieder zu einem Stimmigkeitsgefühl gelangen zu können.

Ich habe es bereits angetönt: Denken braucht Zeit. Diese muss man sich respektive dem Denken geben und gönnen. Das meine ich mit der zweiten relevanten Art der Verortung, der «lebensweltlichen». Das Denken benötigt Zeit – und Raum! – im Leben. Natürlich spielt sich viel von dem, was zu einer reflektierten Überzeugung führt, beiläufig oder unbewusst ab. Um aber das ganze Potential des eigenen Denkens auszuschöpfen, ist es unabdingbar, geeignete Bedingungen zu schaffen, um sich den Gegenständen des Denkens auf fokussierte Weise widmen zu können. Dies kann ein Spaziergang sein, oder ein Gespräch, oder der Rückzug in eine abgelegene Berghütte. Die zweite Antwort auf die Titelfrage lautet also: Das Denken soll sich befreit von Alltagsablenkungen entfalten.

Für gewisse Themen reicht eine Viertelstunde ohne Smartphone. Manch andere Fragestellung bedarf eines ganzen Nachmittags ohne feste Termine oder gar noch mehr. Wie viel Zeit man sich und seinem eigenen Denken gibt und gönnt, ist stark von der Lebenssituation und vom eigenen Bedürfnis abhängig, dazu gibt es keine allgemeingültige Antwort. Nicht in allen Berufen zum Beispiel stellen sich komplexe Fragen, die vertiefte Denkarbeit verlangen. Dort, wo dies aber der Fall ist, gehört es zum Berufsethos, sich Denkräume zu schaffen. Denn denken kann man immer nur selber. Alles andere heisst nachplappern. Oder moderner ausgedrückt «liken», «disliken» oder «shitstormen».

Mein Denk-Postulat in abgewandelter Form lautet demnach: Mehr denkerischer Selbst- und Umweltschutz! Damit weniger heisse Luft produziert wird und das (gesellschaftliche) Klima auch in dieser Hinsicht nicht noch weiter aufgeheizt wird.