Wie soll ich fluchen?

Anständig unanständig sein

Zum guten Glück ist Philosophie eine theoretische Disziplin. Ich fühle mich somit nicht verpflichtet, in diesem Blogtext praktische Beispiele von unanständigen Flüchen zu geben. Meine Pflicht hingegen ist zu begründen, warum ich dieses Thema gewählt habe. Und das ist einfach: Flüche sind aggressive emotionale Äusserungen; Emotionen und Aggressionen sind urmenschlich; und Philosophie fragt (unter vielem anderen) nach dem Urmenschlichen. Eine liberale Philosophie, die sich mit konkreten Aspekten des modernen Alltags auseinandersetzt, muss auch Emotionen und Aggressionen thematisieren.

Flüche sind, so meine Definition, in formeller Hinsicht eine besondere Ausdrucksform von Emotionen und Aggressionen, und in inhaltlicher Hinsicht ein spezifischer Verderbenswunsch. Ich behaupte nun, dass es anständige, also ethisch gute, positiv zu bewertende Arten des Fluchens gibt. Diese zeichnen sich durch folgende Aspekte aus: Emotionale Entlastung, Minderung des Aggressionsniveaus und Erheiterung der Umgebung. Ich gehe im Folgenden auf jeden Aspekt kurz ein.

Ein Fluch fällt nicht vom heiteren Himmel, sondern eruptiert aus der brodelnden Tiefe der Seele. Emotionen wie Hass, Wut, Enttäuschung, oder auch nur eine milde Unzufriedenheit führen zu einer Erhöhung des «Fluchdrucks». Wird dieser zu lange ignoriert oder unterdrückt, geschieht irgendwann eine riesengrosse Explosion oder eine depressive Implosion. Daher ist es besser, den Fluchdruck mittels kontrollierter Entlastungen unterhalb des plosiven Niveaus zu halten.

Ein Fluch ist keine physische Gewalttat. Es ist hinlänglich bekannt, zu welchen Taten aggressive Individuen bereit sind. Ich bin überzeugt, dass wohlpraktiziertes Fluchen das Aggressionsniveau senken kann, was vielleicht den einen oder anderen tätlichen Übergriff verhindert. Wer wie ein Rohrspatz flucht, trällert schon fast vogelgleich ein Lied. Dabei soll es auch nicht darauf ankommen, dass immer nur harmlose Fluchwörter verwendet werden. Die Fluchmelodie darf auch hart dissonante und von mir aus blasphemische Ausdrücke enthalten, solange nur der Schnabel, nicht aber die Krallen und Fäuste ins Spiel kommen. Ich bin bei der Verwendung von allzu wüsten Wörtern allerdings zurückhaltend mit einer insgesamt positiven ethischen Bewertung.

Die ersten beiden skizzierten Aspekte – Entlastung und Aggressionsreduktion – sind nach meinem Verständnis notwendige Kriterien für gerechtfertigte, ethisch zumindest als neutral zu bewertende Flüche. Soll aber auch eine positive Bewertung vorgenommen werden können, muss zusätzlich das dritte Kriterium erfüllt sein: Die Erheiterung.

Wer nicht selber im Zielbereich des Fluchs steht, verfolgt häufig mit Amusement, mit welch Kreativität und Inbrunst aus allen «Fluchrohren» geschossen wird. Und wer doch be- und getroffen ist, mag die Bewerfung mit Schlötterlingen und anderen Verwünschungen vielleicht desto gelassener hinnehmen, je abstruser die zugrundeliegenden Vorwürfe sind. Ein guter Fluch ist jedenfalls in der Lage, eine verstrickt-verkrampft-vernebelte Situation aufzuheitern, ohne neue Düsterkeit zu verursachen (zum Beispiel in der Seele eines verfluchten Mitmenschen).

Nach so viel Theorie fühle ich nun tatsächlich auch einen gewissen emotionalen Fluchdruck in mir… Ich kann es dank der soeben formulierten Gedanken sogar ethisch verantworten, zum Schluss noch anständig zu fluchen versuchen: Du zuckersüsser Schönwetterphilosoph, soll es kübelweise Moralsäure auf Dich regnen, damit Dein weltfremdes Gesülz wie Gebein im Vulkanschlot verdampfe! Oder: Du himmeltraurige Lachnummer, soll Dir das Lachen wie ein Eiswürfel im Hals stecken bleiben und nur ganz langsam wegschmelzen! Oder: Du einzelliges Solarpanel, eine Amöbe hat mehr Grips, wegen Dir hat die Sonne am Morgen keine Lust, aufzugehen, und bald wird ewige Nacht sein.

Kannst auch Du anständig fluchen? Ich stehe gern als Zielobjekt zur Verfügung.