Wie soll ich hoffen?

Den Optimismus überwinden


Die Hoffnung ist ein prominentes Beispiel für die vielen Gemeinsamkeiten von Philosophie und Theologie. Für Immanuel Kant ist die Frage, was ich hoffen dürfe, eine der drei fundamentalen Fragen aller Philosophie. Dies neben jener, was ich wissen könne – Gegenstand der Erkenntnistheorie – und jener, was ich tun solle – Gegenstand der Ethik. Kant meinte interessanterweise, dass die von ihm gestellte Frage nach dem Hoffen-Dürfen primär von der Religion zu beantworten sei, nicht von der Philosophie. Auch der Aufklärungsphilosoph par excellence hält also die Religion, resp. die Theologie für unabdingbar, wenn es darum geht, philosophisch befriedigende Antworten zu bekommen.

Nachdem ich bereits den Tugenden des Glaubens und des Liebens zwei Blogbeiträge gewidmet habe, kommt jetzt die dritte Tugend des paulinischen Dreisatzes «Glaube, Hoffnung, Liebe» an die Reihe – und zwar wie angedeutet vor allem aus philosophischen Gründen. Anders als beim Vertrauen (siehe zugehöriger Blogbeitrag) ist das Hoffen seit den Anfängen der Philosophiegeschichte wichtiger Denk-Gegenstand. Normalerweise wurde dabei angenommen, dass ohne das Konzept ‹gut› oder ‹das Gute› ein Hoffen nicht denkbar sei: Wer hofft, geht davon aus, dass sich ein Sachverhalt zum Besseren oder Guten wende. Darin unterscheidet es sich zum Beispiel von der blossen Erwartung oder Prognose, die beide ohne Bewertung auskommen. Das Befürchten ist demgegenüber quasi die gespiegelte Einstellung, nämlich dass sich etwas zum Schlechten wende.

Philosophisch kann, ja sollte man noch einen Abstraktionsschritt weitergehen: Hoffen ist demnach nicht direkt auf das Gute bezogen, sondern «nur» auf die Möglichkeit des Guten. Damit kann vermieden werden, dass im Fall ausbleibender Verbesserung die Hoffnung ihren Grund verlöre. Solange es noch irgendwie möglich bleibt, dass es gut kommt, solange soll und darf ich hoffen.

Hoffen soll, um nun die Titelfrage zu beantworten, immer mit einem Bewusstsein der Möglichkeit des Guten geschehen. – Ist das wieder einer dieser typischen, sperrigen philosophischen Sätze, die im Alltag kaum weiterhelfen? Mag sein. Ich versuche für alle Fälle die Antwort mit Beispielen zu illustrieren: Hoffen ist, mitten in einem Hitzesommer nicht in Weltuntergangstimmung zu verfallen (Stichworte Last Generation oder Extinction Rebellion). Hoffen ist, mitten im Krieg nicht den Lebensmut aufzugeben. Hoffen ist, sich mitten im Prüfungs- oder Meetingvorbereitungsstress die angenehme Zeit danach auszumalen. Und hoffen ist auch, sich von Rückschlägen nicht beirren zu lassen, ja, diese zum Anlass zu nehmen, nur noch stärker zu hoffen. Das mag paradox tönen. Aber es trifft meiner Meinung nach den Kern der Hoffnung als einer das Kurzfristige und direkt Sichtbare übersteigenden Tugend: Mehr als ein weltlicher Optimismus, ist Hoffnung ein überweltlicher Bewusstseins-Akt, der sich indirekt, oder manchmal vielleicht auch direkt, auf das Gute bezieht. Hoffen ist, eine konkrete gute Situation zu denken, sich auszumalen, darauf zu plangen und konkrete Schritte zu unternehmen, um die Welt – oder je nachdem zwischendurch auch nur seine eigene Lebenssituation – zu verbessern. Wer auf diese Weise hofft, hat gute Chancen, den «Himmel» etwas näher an die Erde zu rücken und damit Philosophie und Theologie zu verbinden. (Vielleicht sind der platonische Ideenhimmel und der christliche Seelenhimmel ja der gleiche?…)

Hoffentlich komme ich ob so viel philosophisch-theologischen Brückenbauens nicht in die «Hölle». Und sonst auch egal, dort ist es sicher spannender als unter jenen, die nur glauben und wissen, aber nicht hoffen und lieben.