Wie soll ich mich freuen?

Die Kunst pareto-effizienter Lebens-Würzung

Freud und Leid gehören beide zum Leben. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, ganz ohne das eine oder andere zu existieren. In der Philosophie – die sich ja gerne mit allem auseinandersetzt, was existenziell und notwendig ist – findet das Leid ganz viel Beachtung. Ihm wird dort zumeist das Glück entgegengestellt. Das dünkt mich ziemlich simpel und verkopft. Denn Glück ist ja schön und recht, aber es ist mehr ein entrückt-vergeistigtes Absolutum denn ein Alltags-Instrument. Sollte aber Philosophie nicht gerade auch Instrumente und Prinzipien für jeden Tag liefern?

Eigentlich gehört doch die Freude dem Leid entgegengestellt. Freude – oder in der tätigkeitsorientierten Form das Sich-freuen – ist kaum weniger existenziell als Glück. Der Begriff tönt vielleicht etwas profaner, weist aber ebensoviel Tiefe auf und hätte mehr wertschätzende Beachtung verdient. Ich versuche mich hier also in einer kleinen philosophischen Aufwertung und beginne mit der grundlegenden Frage, was Freude denn überhaupt ist. Dass es kein physischer Gegenstand ist, den man portioniert und wohldosiert im Laden kaufen kann, scheint mir evident zu sein. Freude gehört, als etwas Psychisches, zum Innenleben. Ist sie ein Affekt, also ein verursachter Zustand von Gefühl und Gemüt, ohne dass der Wille oder der Verstand im Spiel wäre? Das ist wohl auch wieder zu einfach gefasst.

Freude entsteht meines Erachtens aus einem Zusammenwirken von äusseren Situationen – wobei auch physische Gegenstände beteiligt sein können – und innerer Empfänglichkeit. Sie ist sozusagen eine Verbundaufgabe von Körper und Geist. Ich schreibe bewusst ‹Aufgabe› und nicht ‹Beiprodukt› oder ‹Phänomen›, weil ich davon ausgehe, dass Freude mehr als etwas rein Spontanes oder Zufälliges ist. Man kann sie befördern, sie mittels geeigneter Einstellung zu sich einladen oder sie anlocken, so wie man im Winter mit Kernen und Körnern Vögel anlocken kann. Aber heranfliegen müssen die Vögel dann selber. Auch die Freude fliegt nicht einfach immer und überall heran. Es gehört zur Lebenskunst zu wissen, wo man seine persönlichen «Freudenkörner» ausstreuen soll.

Nachdem ich nun eine grobe Vorstellung davon habe, was Freude ist, glaube ich in der Lage zu sein, die Titelfrage so zu beantworten: Du sollst Dich auf eine solche Weise freuen, dass es Dir besser und anderen nicht schlechter geht. Dies ist quasi das Pareto-Prinzip der Freuden-Ökonomie. (In der Wirtschaft ist das Pareto-Prinzip dann erfüllt, wenn eine Zustandveränderung niemanden schlechter stellt.) Es gibt nämlich einige Arten, sich so zu freuen, dass andere (zusätzliches) Leid erfahren. Am bekanntesten ist wohl die Schadenfreude. Diese kann zwar auch abgesondert sein, also nicht zurück auf die geschädigte Person wirken, doch meistens zielt sie ja darauf ab, andere spür- und hörbar zu erniedrigen. Neben dieser verachtungsorientierten Art gibt es auch die rauborientierte: Anderen kann die Freude regelrecht gestohlen werden. Oder die zerstörungsorientierte: Mobbing ist ein besonderer Ausdruck davon. Und ich bin sicher, dass noch einige weitere Arten entdeckt werden können.

Glücklicherweise gibt es auch ganz viele positive Arten, wie man sich freuen kann. So wie Singvögel als «singorientierte» Vögel mit ihrem Gesang uns erfreuen, so gelingt es «sing- und loborientierten» Menschen, anderen eine Freude zu bereiten, was sie selber dann auch wieder freut. Allen positiven Arten ist gemeinsam, dass ihnen die Möglichkeit zum Teilen innewohnt. Der «Sharing»-Gedanke ist so gesehen etwas sehr Freudvolles. Eine modifizierte Form ist die Scherzfreude: Man legt jemand anders herein – was kurzfristig zu Irritation oder Verwirrung führen mag – möchte aber nachher gemeinsam darüber lachen können. Wenn die Scherz- nicht mit (zuviel) Schadenfreude gewürzt wird, halte ich sie für eine der menschlichsten, da kunstvollsten und gemeinschaftsorientiertesten Arten der Freude.

Man sieht also auch: Die Abgrenzung zwischen den negativen und den positiven Arten der Freude ist nicht immer strikt. Ein paar Körnlein nicht-pareto-effizienten Verhaltens können, wenn die Absichten dahinter wohlwollend sind, durchaus insgesamt das Gute befördern.

Wann ist Dir zuletzt gelungen, das Leben anderer mit dieser Würze zu bereichern?